Ein Landwirt spritzt seine Erdbeeren – Passantinnen und Passanten sind empört. Doch was im Tank ist, das wissen sie nicht. Bäuerinnen und Bauern spüren aktuell viel Gegenwind aus der Öffentlichkeit – viele machen sie für Umweltprobleme verantwortlich. Ein Landwirt, der draussen auf dem Feld mit Traktor und Spritze unterwegs ist oder ein Obstbauer, der in voller Schutzmontur Obstbäume spritzt, werden als Umweltsünder abgestempelt.
Was im Tank ist, wissen die Passantinnen und Passanten meist nicht. Auch die meisten biologischen Fungizide, Insektizide oder Düngemittel werden mit einer Spritze ausgebracht und erfordern zum Teil Schutzkleidung. Und auch konventionell wirtschaftende Bäuerinnen und Bauern nutzen diese. «Es kommt immer wieder vor, dass uns Passanten beim Spritzen beobachten und wir uns dann rechtfertigen müssen», erklärt Patrik Niederhauser. Auf den Erdbeerfeldern von Patrik Niederhauser im bernischen Gals kommt aber vor allem hochwertiger Kompost zum Einsatz – entweder als Schwarzerde oder als Komposttee.
Organischer Kompost
Beim Anlegen von neuen Erdbeerdämmen mischt Patrik Niederhauser jeweils nährstoffreiche Schwarzerde mit einem speziellen Karren direkt unter die Erddämme: «Damit erhalten wir einen gesunden Boden, der mehr Wasser speichern kann. Und je gesünder der Boden ist, desto weniger Krankheiten hat er und desto gesünder ist dann auch die Pflanze, die obendrein mehr CO2 im Boden einbinden kann.» Wenn die Erdbeeren einmal gedeihen, kommt der Komposttee zum Einsatz. Diesen muss Patrik Niederhauser 24 Stunden vor dem Ausbringen mit Kompostextrakt anziehen und die Mikroorganismen im Tee mit Nährsubstanzen füttern, damit sie sich vermehren. Die Kompostteeaufbereitung ist ein aerober Prozess – das heisst, es muss auch immer sichergestellt sein, dass ausreichend Sauerstoff in das Wasser gelangt. Ist das Gebräu fertig, muss Patrik Niederhauser den Komposttee zeitnah ausbringen: Der Tee wird mit Wasser verdünnt und dann entweder ins Bewässerungssystem geschleust oder für die wöchentliche Blattspritzung in die Anhängefeldspritze gefüllt und mit dem Traktor ausgebracht. Rund 200 Liter reinen Komposttee verteilt Patrik Niederhauser so pro Hektare.
Die mit dem Kompost ausgebrachten Mikroorganismen stärkten und schützten die Pflanzen, erklärt Patrik Niederhauser: «Seit wir mit dem Einsatz von Kompost begonnen haben, beobachten wir beispielsweise weniger Pilzbefall und konnten den Einsatz von chemisch-synthetisch hergestellten Pflanzenschutzmitteln deutlich reduzieren oder zum Teil sogar ganz darauf verzichten – dadurch hatten wir auch einen Zuwachs von natürlich vorkommenden Nützlingen und müssen dadurch auch weniger Schädlinge bekämpfen.» Ausserdem seien die Erdbeerpflanzen viel homogener und ausgeglichener und es brauche auch keinen Handelsdünger mehr.
Desinfizierender Kalk
Auf ein anderes Naturproduktmittel setzt der Betrieb von Ralph Kellerhals im baselländischen Füllinsdorf: Dort kommt nicht Komposttee in den Spritztank, sondern eine Kalklösung. Der in Wasser gelöste sogenannte Fruchtkalk hat einen hohen PH-Wert von 12,6 und wird entweder per Boden- oder Blattapplikation ausgebracht. «Fruchtkalk läuft eigentlich unter der Düngemittelverordnung und liefert Nährstoffe wie Calcium oder Magnesium, er hat aber auch positive Eigenschaften im Pflanzenschutzmittelbereich», erklärt Ralph Kellerhals. Unter anderem Pilze, Bakterien und Viren würden einen so hohen PH-Wert schlecht oder gar nicht vertragen und Kalk wirke entsprechend desinfizierend.
«Die Pflanzenschutzmittel von heute können nicht mehr das, was frühere Mittel konnten», erklärt Ralph Kellerhals die Beweggründe, wieso er seit rund sieben Jahren bei seinen Beeren- und Obstkulturen Fruchtkalk einsetzt. Früher habe man einmal spritzen können und das habe gereicht – heute müsse man für die gleiche Wirkung mehrmals fahren. Da könne er auch auf ein Naturproduktmittel wie Kalk setzen – da brauche es auch eine regelmässige Ausbringung, meint Ralph Kellerhals: «Seit wir Fruchtkalk einsetzen, konnten wir den Einsatz von Pestiziden massiv reduzieren und wir schonen zusätzlich die Umwelt sowie die hauseigenen Produkte.»
Auch bei Niederhausers Erdbeerkulturen kommt zwei- bis dreimal Fruchtkalk zum Einsatz: «Allerdings ist noch nicht bekannt, wie der Kalk auf die Mikroorganismen des Komposttees wirkt – ob er sie allenfalls kaputt macht», erklärt Patrik Niederhauser. Deshalb werde Kalk nur zur Desinfektion beim Ein- und Auswintern gespritzt und danach nicht mehr.
Aufwand und Nutzen
Sowohl Patrik Niederhauser als auch Ralph Kellerhals betreiben einen konventionellen Landwirtschaftsbetrieb – beiden ist es aber ein Anliegen möglichst pestizidfrei zu produzieren und sie setzen sich entsprechend für ökologische Massnahmen in ihren Kulturen ein. Allerdings handle es sich bei den meisten biologischen Hilfsmitteln wie auch bei Komposttee und Kalk um Kontaktmittel, erklärt Patrik Niederhauser. Kontaktmittel haben im Gegensatz zu synthetischen Mitteln nur bei direktem Kontakt mit der Pflanze und nur unmittelbar bei der Kontaktstelle eine Wirkung: «Die Wirkung ist nur von kurzer Dauer und müssen deshalb öfters und in höheren Mengen angewendet werden als synthetische Pflanzenschutzmittel, die in die Pflanzen eindringen und eine sofortige sowie langanhaltendere Wirkung haben.» Bei synthetischen Mitteln reiche meistens ein einziger Kontakt mit der Pflanze und dann sei der Wirkstoff in der Pflanze drin. Der Kompostteeeinsatz funktioniere in seinen Erdbeerkulturen deshalb auch nur darum so gut, weil diese durch Folientunnel geschützt seien – bei exponierteren Kulturen sei die Situation anders.
«Beim Einsatz von Fruchtkalk muss man genau darauf achten, dass man beim Spritzen eine gute Verteilung hinbekommt und beispielsweise auch die Blattunterseite erwischt, damit der Fruchtkalk gut wirkt», pflichtet Ralph Kellerhals bei. Und die Anwendung von Komposttee oder Kalk ist in vielerlei Hinsicht aufwändig: Fruchtkalk ist in der Anschaffung zwar preiswert, hochwertiger Kompost hingegen relativ teuer – beide Mittel sind aber zeit- und arbeitsintensiver als konventionelle Mittel. Die Mittel müssen präventiv und damit sehr regelmässig gespritzt werden. Ralph Kellerhals spritzt seine Kulturen nach Faustregel etwa alle sieben Tage und dann noch je nach Wetter. Wenn es viel regne, brauche es mehr Anwendungen, erklärt er. Auch Patrik Niederhauser spritzt regelmässig, muss beim Spritzen von Komposttee aber auch noch die Vorbereitung – die 24 Stunden Kochzeit – im Auge behalten und entsprechend planen. Dann bedeutet auch die Bodenvorbereitung mit Schwarzerde für eine verbesserte Bodenqualität Aufwand.
Herausforderung «pestizidfrei»
Pflanzenschutz ist komplex – so lässt sich nicht verallgemeinern, dass biologische Mittel ausnahmslos ungefährlich sind und synthetische Mittel in jedem Fall Gesundheit von Menschen und Umwelt schädigen. Im biologischen Anbau kommen beispielsweise Kupferprodukte gegen die Kraut- und Knollenfäule bei Kartoffeln zum Einsatz. Kupfer kommt zwar natürlich vor, wird für den Einsatz in der biologischen Landwirtschaft aber synthetisch hergestellt und enthält ausserdem Schwermetalle, die sich bei zu häufiger Anwendung im Boden anreichern, das Wasser gefährden können und unter anderem für Regenwürmer giftig sind. Auch das konventionelle Gegenstück Cyazofamid kann Gewässer gefährden, baut sich im Gegensatz zu Kupfer aber ab.
Patrik Niederhauser setzt auf seinem Betrieb nur noch sehr wenig synthetische Pflanzenschutzmittel ein und verzichtet bei den «Kompost»-Kulturen möglichst ganz darauf, da synthetische Mittel die im Komposttee herangezüchteten Mikroorganismen schädigen können. Wenn es aber hart auf hart kommt – beispielsweise bei einem starken Befall durch Schädlinge oder einen Pilz – greift er notgedrungen auf ein synthetisches Pflanzenschutzmittel zurück: «Der kurative Einsatz dieser Mittel ist manchmal die letzte Möglichkeit, um eine Kultur vor dem Totalausfall zu bewahren», verdeutlicht Patrik Niederhauser. Ein Totalausfall einer Beerenkultur würde für seinen Betrieb enorme finanzielle Schwierigkeiten von existenziellem Ausmass bedeuten. Das Einkommen von fast einem ganzen Jahr Arbeit bliebe aus – das hätte nicht nur Folgen für den Lebensunterhalt der Betriebsfamilie, sondern auch für die Angestellten.
Kompost
Hochwertiger Kompost wie Schwarzerde ist ein biologisch hochaktiver Bodenverbesserer und Nährstoffzulieferer für diverse Kulturen, der viele lebendige Bodenmikroorganismen enthält. Schwarzerde oder Kompostextrakt für Komposttee wird bei einer sogenannten aeroben Kompostierung gewonnen: Das Material muss immer mit genug Sauerstoff versorgt sein, dass es nicht verfault, sondern verrottet. Für hochqualitativen Kompost ist ein ideales Mischverhältnis von Grüngut, Strukturmaterial, tonhaltiger Erde, Urgesteinsmehl und weiteren Zusätzen wie Pflanzenkohle nötig. Der Rotteprozess wird genau überwacht und der Kompost wird regelmässig gemischt, belüftet und bewässert, damit Kohlenstoff-, Stickstoff- und Sauerstoffgehalt sowie Feuchtigkeit stimmen. Besonders während der sogenannten Heissrottephase müssen optimalste Rottebedingungen und eine Temperatur zwischen 55 und 65 °C herrschen. Ausserdem sollten auf einem aerob geführten Kompostplatz keine unangenehmen Gerüche entstehen. Bei gutem Rotteverlauf ist der Kompostierprozess nach ungefähr 8 bis 12 Wochen abgeschlossen.
Fruchtkalk
Fruchtkalk ist reinstes Caciumhydroxid, welches in der Natur auch als Mineral Portlandit vorkommt. Calciumhydroxid gewinnt man durch sogenanntes Kalklöschen: Dabei wird Calciumoxid, auch Branntkalk genannt, unter starker Wärmeentwicklung mit Wasser versetzt. Das gewonnene Caciumhydroxid mit antiseptischer Wirkung findet dann beispielsweise als Fruchtkalk Verwendung im Obstbau. Kulturen werden in der Regel mit einer Fruchtkalk-Wasser-Lösung besprüht – in geschlossenen Kulturen wie Treibhäusern wird es auch als Trockenstaub verblasen. Fruchtkalk liefert Nährstoffe wie Calcium oder Magnesium und funktioniert als pH-Regulator für Boden und Kulturen. Der pH-Wert einer gesättigten Fruchtkalk-Wasser-Lösung liegt bei 11–12,6 und kann Pilze, Viren, Bakterien und Schadinsekten unter den Schadschwellen halten.