In der malerischen Magadinoebene im sonnigen Tessin hat Gemüsebauer Luca Belossi vor vier Jahren mit seiner eignen Schneckenzucht angefangen. Seine Schnecken – im Tessiner Dialekt «Lümaga» – finden vor allem in lokalen Restaurants Absatz, dürften aber ein Hobby bleiben.
Luca Belossis führt den 100-jährigen Betrieb in der vierten Generation. Vor zehn Jahren haben Belossis ihre letzte Kuh verkauft und verdienen ihr Geld seither mit Kartoffeln, die sie in die Pommes-Chips-Fabrik von Zweifel liefern, mit Rollrasen, vor allem aber mit dem Gemüse in den Gewächshäusern. Vor vier Jahren entschied sich Luca Belossi, ein neues Kapitel in der Geschichte des Hofes aufzuschlagen und wieder Tiere zu halten: Schnecken.
Schnecken-Knowhow aus dem Piemont
Für das Unterfangen holte sich der Gemüsebauer das Knowhow im italienischen Cherasco, denn die Gemeinde im Piemont ist die heimliche Hauptstadt der europäischen Schneckenzucht: Vor den Toren der Stadt beschäftigt sich das Istituto Internazionale di Elicicoltura mit der wissenschaftlichen Forschung, Aufzucht und dem Verkauf von Schnecken und angehende Schneckenbauern lernen dort alles rund um die Schneckenzucht.
So importierte Luca Belossi 2019 die ersten 25’000 Schneckeneier aus Cherasco und bis heute arbeitet er eng mit den Experten aus dem Piemont zusammen – insbesondere bei der Verarbeitung, denn in der Schweiz gibt es keinen Betrieb dafür. Wenn sie gross genug sind, reisen Luca Belossis Schnecken in Kartoffelsäcken in die «Schneckenmetzgerei» nach Cherasco und dann eingelegt in Salzlake wieder zurück ins Tessin.
Von Weide zu Weide
Die Schneckenproduktion erfolgt in einem ausgeklügelten System: Die 5’000 Quadratmeter sind in mehrere Weiden unterteilt und die Schnecken wandern während der Ernte dann immer von einer zur anderen. Für die Ernte legt Luca Belossi jeweils Kartonbögen aus und die Ernte erfolgt jeweils am Morgen, wenn die Schnecken sich dann im kühlen Schatten und der Feuchtigkeit unter dem Karton versammeln und der Schneckenzüchter sie zusammen mit seinen Mitarbeitenden nur noch ablesen kann. Die genug grossen Schnecken werden für die Weiterverarbeitung gesammelt, die zu kleinen Schnecken wandern in die Weide daneben. Die geernteten Schnecken werden gekühlt, um sie in den Winterschlaf zu versetzen. Dabei entleeren sich die Schnecken und schliessen ihr Häuschen dann. So werden sie dann nach Cherasco zur Weiterverarbeitung geliefert.
Neben dem Gras auf der Weide füttert Luca Belossi seinen Schnecken während der Aufzucht Gemüse wie Zucchini und Gurken von seinem Betrieb, dass der Markt nicht haben will. Und um die Qualität der Häuschen zu erhöhen, bekommen die Schnecken ausserdem ein Kalziummehl.
Schneckenzucht mit Herausforderungen
Die Schneckenproduktion ist jedoch nicht ohne ihre Herausforderungen. So zielen gelegentlich Vögel und Mäuse auf die Schnecken ab – das weitaus grössere Problem ist aber die Witterung. «Ein Hagelwetter hat uns einmal ziemlich viele Schnecken erschlagen», erklärt Luca Belossi und ergänzt: «Die Schnecken, die überlebt haben, hatten Schäden an den Häuschen und wurden dann nur noch als Zweitklassschnecken taxiert.»
Die grösste Herausforderung stellt aber die Temperatur dar: «Wir haben grosse saisonale Temperaturschwankungen und Schnecken brauchen ein möglichst ausgeglichenes Klima», erläutert Schneckenzüchter Belossi. Selbst untertags schwankten die Temperaturen zum Teil zwischen 10° am Morgen und 30° am Nachmittag, was die Schnecken nicht so gerne mögen. Deshalb muss Luca Belossi immer für genug Schatten sorgen – ausserdem «bewässert» er seine Schnecken regelmässig.
Und diese Temperaturschwankungen seien bis anhin auch bei der Überwinterung der Schnecken eine Herausforderung gewesen. «Im ersten Winter haben wir die Schnecken abgedeckt, um sie vor der Kälte zu schützen – es war dann aber trotzdem zu kalt und viele sind erfroren», erzählt Luca Belossi. Letztes Jahr hätte er dann das gegenteilige Problem gehabt: «Wir haben sie besser abgedeckt als im Vorjahr, dann gab es aber keinen kalten Winter und die Schnecken hielten keinen Winterschlaf, hatten unter der Abdeckung nichts zu essen und verhungerten.»
Besondere Nische
Luca Belossi plant darum, ein neues System einzuführen, bei dem die Schnecken im Winter nicht mehr vor Ort überwintern. Er will diesen Herbst alle Schnecken ernten und im Frühling dann Eier bestellen, diese durch denn Sommer aufziehen und nächsten Herbst wiederum alle ernten. «Wenn dieser neue Ansatz für uns funktioniert, ist es ideal, weil die Schnecken dann ungefähr alle zur selben Zeit die gewünschte Erntegrösse erreichen sollten, anstatt wie jetzt, wo wir grosse und kleine Schnecken gemischt haben», erklärt er. Das habe bis anhin eine ganze Menge Arbeit bedeutet bei der Ernte, weil er ja trotzdem jede Schnecke habe in die Hand nehmen müssen und sie entweder ernten konnte oder in die Weide nebenan habe tragen müssen. «So mache ich zukünftig nur noch eine grosse Ernte im Jahr, anstatt wie bis jetzt eine kleine Ernten im Frühsommer und eine kleine Ernte im Herbst – das sollte den Aufwand dann auch erheblich reduzieren», so Luca Belossi.
Trotzdem ist und bleibt die Schneckenzucht von Luca Belossi wohl eine Passion und ein Hobby. Er nimmt zwar jeweils einen Teil seiner verarbeiteten Ernte aus Cherasco zurück und vermarktet diese hier direkt: Insbesondere bei den lokalen Restaurants sind Luca Belossis Schnecken beliebt und werden Schnecken aus dem weit entfernten Orten sogar vorgezogen. Trotzdem gibt Luca Belossi zu, dass die Zucht eben viel Arbeit bedeute, aber nur begrenzte wirtschaftliche Gewinne abwerfe. Er hofft aber, dass er in näherer Zukunft doch zumindest eine schwarze Null schreiben kann. Für Luca Belossi steht aber vor allem die Leidenschaft dieses Projekts im Vordergrund: «Ich habe immer gerne Schnecken gegessen und wollte es einfach mal ausprobieren – im Tessin hat das bisher noch keiner so gemacht.»
Bis anhin gelten Schnecken in der Schweiz nicht als Nutztiere – das soll sich nun aber ändern: Die Schneckenzucht soll künftig zur Landwirtschaft zählen und Schnecken sollen als Nutztiere anerkannt werden. Erst diese Woche hat der Nationalrat eine entsprechende Motion angenommen und diese an den Ständerat überwiesen.
«Als wir mit unserer Schneckenzucht starten wollten, haben wir nach Bundesbern geschrieben, um abzuklären, ob und wie wir das machen dürfen», erklärt Schneckenzüchter Luca Belossi. Vom Bund erhielt er schliesslich die Antwort, dass eine Schneckenzucht auf einem Landwirtschaftsbetrieb kein Problem sei sollte, da dies ohnehin in der AP22+ geregelt werden sollte. «Wir fingen also an, bekamen dann aber Probleme, als die AP22+ dann sistiert wurde und Schnecken auch weiterhin nicht als landwirtschaftliches Produkt galten und so auf einer Landwirtschaftsfläche nichts zu suchen hätten», erinnert sich Luca Belossi.
Nach der 2021 vom Tessiner SP-Nationalrat Bruno Storni eingereichten Motion, die verlangte, dass Infrastrukturbauten für die Schneckenzucht in Landwirtschaftszonen bewilligungsfähig würden und Schnecken als Nutztiere anerkannt werden sollten, liess der Bundesrat schliesslich verlauten, dass kleinere Anlagen, die für die Schneckenproduktion auf einem Bauernhof nötig sind, solange es sich nicht um den Hauptbetriebszweig handele.
Der Nationalrat hat die Motion nun aber gegen den Willen des Bundesrats gutheissen. Nun darf sich der Ständerat damit befassen.