Der Gurkenmosaikvirus ist nicht nur auf seine gleichnamige Wirtspflanze beschränkt. Der Virus kann auch Tomaten befallen – die Pflanzen verkümmern und produzieren verdrehte, rankenartige Blätter. Angesichts dieser Auswirkungen ist es überraschend das die Tomaten noch fähig sind weiterzuleben. Die natürliche Selektion sollte eigentlich schon vor vielen Jahren im Laufe der Entwicklung Resistenzen gebildet haben. Nun haben Wissenschaftler der Cambridge University diesen scheinbaren Widerspruch aufgeklärt. Der Virus hilft der befallenen Wirtspflanze bei der Fortpflanzung. Und bedient sich dabei eines Komplizen: der Hummel.
Während Dr. Carr auf die Ankunft seiner bestellten Analyse-Geräte wartete um die Absonderung von flüchtigen Chemikalien der Tomatenpflanzen zu erfassen bot ihm ein Kollege Hummeln an, da diese für ihren guten Geruchssinn bekannt sind. So platzierten sie gesunde und infizierte Pflanzen in einem Gewächshaus und bedeckten die Tomatenpflanzen. Die Hummeln konnten nun zwar die Pflanzen riechen, aber nicht sehen.
Und in der Tat konnten die Hummeln den Unterschied bemerken. Allerdings zu Überraschung der Wissenschaftler bevorzugten die Bestäuber nicht die gesunden Tomaten, sondern die vom Virus infizierten. Und tatsächlich, als die technischen Geräte eintrafen, konnte nachgewiesen werden das die abgegebenen chemischen Verbindungen unterschiedlicher Natur waren. Und auf diese Unterschiede reagierten die Hummeln.
Aber welchen Vorteil sollte die Pflanze von diesem Verhalten haben? Tomaten können sich selbst befruchten und sind nicht auf einen Bestäuber angewiesen. Jedoch kann der Prozess von Bestäubern unterstützt werden. Die Schwingungen, ausgelöst durch den Flügelschlag, lösen Pollen von den Antheren der Blütenblätter, so dass sie auf das Stigma fallen können. Könnte dieser Prozess, so dachte Dr. Carr nach, den evolutionären Nachteil den der Virus sonst verursacht, entschädigen?
Um der Sache auf den Grund zu gehen, kultivierten die Wissenschaftler in einem Gewächshaus gesunde und befallene Tomaten ohne Hummeln, in einem anderen mit den Bestäubern, deren Bewegungen aufgezeichnet wurden. Dann analysierten sie die Samen der Früche stellvertretend als Indikator für die entwicklungsbiologische Fitness.
Alle Samen schienen keimfähig. Aber es zeigte sich ein Unterschied: die Anzahl der Samen pro Frucht waren verschieden. Im hummelfreien Gewächshaus hatten infizierte Pflanzen nur etwa 50 Samen pro Frucht, die gesunden Tomaten im Durchschnitt 70 Samen pro Frucht. Aber bei den Versuchspflanzen, die von den Hummeln besucht wurden, geschah etwas Erstaunliches. Die Samenzahl der Früchte von gesunden Blüten, die von Bienen besucht wurden, stieg auf 85 – aber die der Blumen von infizierten Pflanzen sprang viel höher, auf 115. Weitere Untersuchungen zeigten eine mögliche Ursache. Nicht nur das die Hummeln vermehrt die vom Virus befallenen Pflanzen anflogen, sie verbrachten auch längere Zeit damit die Blüten zu umschwirren. Damit wurde mehr Pollen freigesetzt, was erklärt weshalb die befallenen Tomaten sich gegenüber den Vergleichspflanzen reproduktiver zeigten.
Anhand der gewonnenen Daten konnten die Wissenschaftler folgendes herausfinden: die Vorliebe der Hummeln für den Duft von infizierten Pflanzen war stark genug in Tomaten das Aufkommen einer Resistenz gegenüber dem Gurkenmosaikvirus zu verhindern. Was die Hummeln jedoch für einen Vorteil daraus ziehen bliebt wohl deren Geheimnis.